Außerorganschaftlich verursachte Mehrabführungen in organschaftlicher Zeit

Im Rahmen eines Organschaftsverhältnisses erhält der Organträger von der Organgesellschaft den nach handelsrechtlichen Vorschriften ermittelten Gewinn bzw. muss einen nach handelsrechtlichen Vorschriften ermittelten Verlust ausgleichen. Demgegenüber wird das dem Organträger zuzurechnende Einkommen der Organgesellschaft auf der Grundlage des Steuerbilanzgewinns der Organgesellschaft ermittelt. In der Regel wird es daher zu einer Differenz zwischen dem tatsächlich abgeführten handelsrechtlichen Jahresüberschuss und dem im zugerechneten Einkommen enthaltenen Steuerbilanzgewinn der Organgesellschaft kommen. Sofern der handelsrechtliche Jahresüberschuss und damit der tatsächlich abgeführte Gewinn höher als der Steuerbilanzgewinn ist, spricht man von einer Mehrabführung. Liegt die Ursache für eine Mehrabführung in vororganschaftlicher Zeit, so gilt die Mehrabführung als Gewinnausschüttung der Organgesellschaft an den Organträger (§ 14 Abs. 3 S. 1 KStG) und unterliegt regelmäßig der 5 %-igen Dividendenbesteuerung (§ 8b Abs. 1, 5 KStG). Liegt die Ursache für eine Mehrabführung in organschaftlicher Zeit, war nach früherem Recht steuerbilanziell ein sog. besonderer passiver Ausgleichsposten zu bilden; nach derzeitigem Recht gelten solche organschaftlichen Mehrabführungen in voller Höhe als Einlagenrückgewähr (§ 14 Abs. 4 KStG).

In diesem Zusammenhang gibt es trotz umfangreicher Rechtsprechung noch viele offene Fragen. Der BFH hat nun mit Urteil vom 21.02.2022 (Az. I R 51/19) geklärt, dass eine vororganschaftlich begründete Mehrabführung nicht vorliegt, wenn das Vermögen einer Gesellschaft durch Umwandlung oder Einbringung außerhalb des Organschaftsverhältnisses auf die Organgesellschaft übergeht und die übernehmende Organgesellschaft dieses Vermögen sodann in ihrer Steuerbilanz mit den Buchwerten und in ihrer Handelsbilanz mit den Verkehrswerten ansetzt.

Im Streitfall schlossen eine im Inland ansässige Societas Europaea (SE) als Organträgerin und ihre 100 %-ige Tochter-GmbH als Organgesellschaft mit Wirkung zum Wirtschaftsjahr 2007 einen Gewinnabführungsvertrag. Die GmbH war ihrerseits alleinige Gesellschafterin zweier Kapitalgesellschaften, mit denen keine Gewinnabführungsverträge bestanden. Im Laufe des Jahres 2008 wurden die beiden Tochtergesellschaften auf die GmbH unter steuerbilanzieller Beibehaltung der Buchwerte verschmolzen. Handelsbilanziell aktivierte die GmbH als übernehmende Körperschaft die auf sie übergegangenen Wirtschaftsgüter unter Aufdeckung der stillen Reserven. Die sich daraus ergebende Mehrabführung behandelte die SE als organschaftlich i.S.d. § 14 Abs. 4 KStG und bildete gemäß früherem Recht in ihrer Steuerbilanz einen besonderen passiven Ausgleichsposten in gleicher Höhe. Im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung versagte das Finanzamt diesen Ansatz, da es sich bei der entstandenen Mehrabführung um eine außer- bzw. vororganschaftlich verursachte Mehrabführung handle, die als Gewinnausschüttung an die Organträgerin zu berücksichtigen sei. Das FG Rheinland-Pfalz und der BFH sahen dies anders und gaben der SE recht.

Der Gesetzeswortlaut zur vororganschaftlichen Mehrabführung spricht eindeutig für ein rein zeitliches Verständnis. Denn der Passus „Ursache in vororganschaftlicher Zeit“ kann sprachlich und in seinem Kontext nur so verstanden werden, dass die Ursache der Mehrabführung zeitlich vor dem Wirksamwerden der Organschaft liegen muss. Eine Auslegung, wonach „vororganschaftlich verursacht“ im Sinne von „außerhalb des konkreten Organschaftsverhältnisses verursacht“ auszulegen ist, lässt der Gesetzeswortlaut nach BFH-Auffassung nicht zu. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Ursache der Mehrabführung ist dabei auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem das Ereignis eintritt, auf dem der Unterschied zwischen der handelsrechtlichen Gewinnabführung und der Vermögensmehrung in der Steuerbilanz beruht. Dies waren vorliegend die Verschmelzungen im Jahr 2008. Da das Organschaftsverhältnis zwischen der SE und der GmbH bereits seit dem Wirtschaftsjahr 2007 bestand, kann eine in zeitlicher Hinsicht vororganschaftlich verursachte Mehrabführung also nicht vorliegen.

Hinweis:

Obwohl das BFH-Urteil zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts (KöMoG) ergangen ist, ist es auch für die derzeitige Rechtslage von Bedeutung. Denn die Regelungen in § 14 Abs. 3 S. 1 KStG zu den vororganschaftlich verursachten Mehrabführungen haben durch das KöMoG keine Änderung erfahren. Lediglich die die organschaftlich verursachten Mehr- oder Minderabführungen regelnde Ausgleichspostenmethode in § 14 Abs. 4 KStG a.F. wurde durch die sog. Einlagelösung ersetzt. Unabhängig davon bleibt abzuwarten, ob das BMF seinen derzeit noch anderslautenden Umwandlungssteuerlass vom 11.11.2011 im Sinne des für die Praxis begrüßenswerten aktuellen BFH-Urteils anpassen wird.