Neue Auffassung der Finanzverwaltung zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Aufsichtsräten

Aufsichtsräte wurden umsatzsteuerlich bisher unterschiedslos als Unternehmer angesehen. Der EuGH hatte allerdings mit Urteil vom 13.06.2019 (Az. C-420/18 (IO)) die Unternehmereigenschaft in den Fällen verneint, wenn ein Aufsichtsrat für seine Tätigkeit nur eine feste und von der Teilnahme an Sitzungen oder tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden unabhängige Vergütung erhielt. Diesen Vorgaben folgte der BFH mit Urteil vom 27.11.2019 (Az. V R 23/19) in einem parallel in Deutschland anhängigen Verfahren. Nunmehr hat sich auch die Finanzverwaltung mit BMF-Schreiben vom 08.07.2021 den mit diesen Urteilen aufgestellten Rechtsgrundsätzen angeschlossen.

Grundsätzliche Erwägungen zur Umsatzsteuer bei Aufsichtsratsmandaten

Bisher sah Satz 7 des Abschnitts 2.2 Abs. 2 UStAE quasi als „Generalklausel“ vor, dass die Aufsichtsratstätigkeit umsatzsteuerlich stets als selbständige Tätigkeit im Sinne des § 2 UStG einzustufen ist. Dieser Satz entfällt lt. BMF-Schreiben nun ersatzlos. Entsprechend dem Grundsatz einer einheitlichen steuerlichen Behandlung gilt die Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied als (nicht selbstständige) Arbeitnehmertätigkeit somit nicht nur für ertragsteuerliche, sondern grundsätzlich auch für umsatzsteuerliche Zwecke.

Allerdings führt die Aufsichtsratstätigkeit nur in Ausnahmefällen zu Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, denn im Normalfall bezieht ein Aufsichtsratsmitglied Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit gem. § 18 EStG. Der UStAE bestimmt nunmehr ausdrücklich eine Ausnahme der einheitlichen Beurteilung und regelt diesbezügliche Abweichungen in einem neu eingefügten Abs. 3a des Abschnitt 2.2 UStAE. Danach ist jetzt – für jedes Mandat eines Aufsichtsrats separat –(ausschließlich nach umsatzsteuerlichen Grundsätzen) zu unterscheiden, ob und in welchem Umfang das Aufsichtsratsmitglied feste oder variable Vergütungen erhält und inwiefern es ein Vergütungsrisiko trägt.

Festvergütung

Erhält der Aufsichtsrat eine Festvergütung ohne Vergütungsrisiko, ist er nicht selbständig tätig. Eine solche ist dem BMF-Schreiben nach dann anzunehmen, wenn dem Aufsichtsratsmitglied unabhängig von der Teilnahme an Sitzungen oder dem Erreichen bestimmter Ziele eine pauschale Vergütung gewährt wird.

In diesem Fall ist das Aufsichtsratsmitglied kein Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechts. Rechnungen oder Gutschriften sind ohne Steuerausweis zu erstellen. Ein Vorsteuerabzug auf Seiten des Aufsichtsrats ist nicht möglich.

Variable Vergütungen

Sitzungsgelder, die das Aufsichtsratsmitglied nur erhält, wenn es tatsächlich an Sitzungen teilnimmt, sowie nach dem tatsächlichen Aufwand bemessene Aufwandsentschädigungen sind keine Festvergütung in diesem Sinne. Insofern ist regelmäßig die Unternehmereigenschaft anzunehmen.

Gemischte Vergütungen

Besteht die Vergütung sowohl aus festen als auch variablen Bestandteilen und betragen die variablen Bestandteile im Kalenderjahr mindestens 10 % der gesamten Vergütung (einschließlich erhaltener Aufwandsentschädigungen), nimmt die Finanzverwaltung eine unternehmerische Tätigkeit des Aufsichtsratsmitglieds an. Reisekostenerstattungen sind keine Vergütungsbestandteile und demzufolge bei der Ermittlung der 10 %-Grenze nicht zu berücksichtigen.

Nichtbeanstandungsregel für Beamte und andere Bedienstete von Gebietskörperschaften

Oftmals wird das Amt auf Veranlassung des Dienstherrn übernommen und nach beamten- oder dienstrechtlichen Vorschriften besteht die Verpflichtung, die Vergütung bis auf einen festgelegten Betrag an den Dienstherrn abzuführen. In diesen Fällen ist es auch bei etwaig bestehendem Vergütungsrisiko nicht zu beanstanden, wenn Beamte und andere Bedienstete von Gebietskörperschaften allein auf Grund dieser Tätigkeit ebenfalls als nicht selbständig tätig behandelt werden.

Kleinunternehmer

Soweit ein Aufsichtsratsmitglied umsatzsteuerlich zwar Unternehmer, aber Kleinunternehmer im Sinne des § 19 UStG ist, wird grundsätzlich keine Umsatzsteuer erhoben. Ein Vorsteuerabzug scheidet dann auch aus.

Hinweis: Kleinunternehmer ist derjenige im Inland ansässige Unternehmer, dessen Gesamtumsatz zuzüglich der darauf entfallenden Steuer im vorangegangenen Kalenderjahr EUR 22.000,00 nicht überstiegen hat und im laufenden Kalenderjahr EUR 50.000,00 voraussichtlich nicht übersteigen wird.

Übergangsregelungen

Die Regelungen des BMF-Schreibens vom 08.07.2021 sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Zur Vermeidung von Übergangsschwierigkeiten – auch für Zwecke des Vorsteuerabzugs – beanstandet es die Finanzverwaltung jedoch nicht, wenn die bisher geltenden Regelungen noch auf bis zum 31.12.2021 ausgeführte Leistungen angewendet werden. Aufsichtsratstätigkeiten, die bis Ende 2021 ausgeführt werden, können also auch dann als selbstständige Tätigkeit behandelt werden, wenn kein Vergütungsrisiko vorliegt. Dies gilt gleichermaßen für den begehrten Vorsteuerabzug des jeweiligen Leistungsempfängers.

Ebenso können Beamte oder politische Mandatsträger, die aufgrund einer unmittelbaren Verknüpfung mit dem Amt eine solche Tätigkeit mit Vergütungsrisiko ausüben, diese noch bis 31.12.2021 als nichtselbstständige Tätigkeit behandeln. Hierauf ist insbesondere bei Bürgermeistern und Beigeordneten zu achten, wenn diese nicht zur Abführung der Vergütung verpflichtet sind, da die Kleinunternehmergrenzen oftmals überschritten werden.

Weiter betroffene Personengruppen

Diese Ausführungen gelten nicht nur für Aufsichtsräte, sondern gleichermaßen für Beiräte und sonstige Überwachungsorgane, insbesondere auch für Mitglieder von Ausschüssen, die der Aufsichtsrat nach § 107 Abs. 3 AktG (typischerweise Prüfungsausschüsse) bestellt hat, sowie für Mitglieder von Gremien, die nicht der Ausübung, sondern der Kontrolle der Geschäftsführung einer juristischen Person oder einer Personenvereinigung dienen.

Hinweise für die Praxis

Die geänderte Auffassung der Finanzverwaltung eröffnet einen gewissen Gestaltungsspielraum:

  • Soll die Umsatzsteuerpflicht vermieden werden, ist die Vergütung – unabhängig von einer tatsächlichen Sitzungsteilnahme und nicht variabel- als pauschale Aufwandsentschädigung auszugestalten.
  • Das sollte insbesondere in Betracht gezogen werden, wenn die Aufsichtsratstätigkeit bei einer Einrichtung oder Organisation ausgeübt wird, die aufgrund fehlender Unternehmereigenschaft oder aufgrund eigener steuerfreier, den Vorsteuerabzug ausschließender Ausgangsleistungen keinen Vorsteuerabzug für die von den Aufsichtsratsmitgliedern abgerechnete Umsatzsteuer hat, wie z.B. karitative oder religiöse Einrichtungen, Krankenhäuser, berufsständische Versorgungswerke u.a.
  • Überdies dürfte eine Festvergütung den administrativen Aufwand des Aufsichtsratsmitglieds reduzieren, da es von der monatlichen Abgabepflicht der Umsatzsteuervoranmeldungen entbunden werden kann. Allerdings entfällt sein Recht auf Vorsteuerabzug, z.B. aus Reisekosten, Literatur oder Beratungskosten.
  • Erhält das Aufsichtsratsmitglied Festvergütungen ohne Vergütungsrisiko, ist künftig darauf zu achten, dass in Gutschriften und Rechnungen kein Umsatzsteuerausweis erfolgt. Anderenfalls entsteht auf Seiten des Aufsichtsratsmitglieds die Steuerschuldnerschaft nach § 14c UStG; das betroffene Unternehmen ist dann nicht zum Abzug der ausgewiesenen Steuer als Vorsteuer berechtigt.

Angesichts der Besonderheiten gerade in den speziellen Bereichen wie dem Gesundheitswesen oder dem kommunalem Sektor ist die genaue Überprüfung bestehender und/oder gewollter Konstellationen mit der Beurteilung möglicherweise nötiger Maßnahmen im Zusammenspiel von Aufsichtsratsmitglied und Unternehmen/Einrichtung anzuraten. Unsere Spezialisten für diese Branchen sowie der Umsatzsteuer stehen Ihnen dazu gerne zur Seite.