Kein Direktanspruch bei fehlender Leistungserbringung

Das EuGH-Urteil Reemtsma vom 15.03.2007 (Az. C-35/05) kreierte einen sog. Direktanspruch. Demnach kann ein vorsteuerabzugsberechtigter Rechnungsempfänger, der eine gesetzlich nicht geschuldete, aber ordnungsgemäß ausgewiesene Steuer an den Leistenden gezahlt hat, eine Erstattung von der Finanzverwaltung verlangen, wenn eine Rückzahlung der Umsatzsteuer für den Rechnungsaussteller aufgrund seiner Zahlungsunfähigkeit übermäßig erschwert ist. Allerdings setzt der Direktanspruch voraus, dass der Rechnungsaussteller auch tatsächlich eine Leistung an den Rechnungsempfänger erbracht hat (der bloße Steuerausweis in einer Rechnung genügt für die Entstehung des Direktanspruchs nicht). Über die Gewährung des sog. Direktanspruchs wird in einem Billigkeitsverfahren nach § 163 AO entschieden.

Im Streitfall machte die vorsteuerabzugsberechtigte Klägerin Vorsteuer aus den Rechnungen eines Subunternehmens geltend. Die Rechnungen des Subunternehmens standen im Zusammenhang mit der Tätigkeit eines Mitarbeiters, der monatlich an die Klägerin ausgeliehen wurde. Ebenfalls war derselbe Mitarbeiter als freier Mitarbeiter für die Klägerin tätig und trat bei Kundenbeziehungen in seinem Namen auf.

Das Finanzamt verweigerte den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen, da die abgerechneten Leistungen sowohl des Subunternehmens wie des freien Mitarbeiters dieselben Leistungen gewesen seien. Die abgerechneten Leistungen des Subunternehmens wurden nicht erbracht, sondern nur eine Rechnung erstellt. Zusätzlich lehnte das Finanzamt ein Billigkeitsbegehren der Klägerin ab, da das Subunternehmen dafür zahlungsunfähig sein müsse.

Das Subunternehmen wurde wegen ungerechtfertigter Bereicherung verurteilt und musste an die Klägerin die Umsatzsteuer nebst Zinsen zahlen. Daraufhin berichtigte das Subunternehmen die Rechnung nach § 14c Abs. 2 S. 3 UStG und trat die Forderung an die Klägerin ab. Das Finanzamt zahlte den Betrag ohne die Nebenleistungen an die Klägerin aus. Darauf stellte die Klägerin erneut, unter der Berufung des Reemtsma-Urteils, einen Billigkeitsantrag für den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen und der Verzinsung der Erstattungsbeträge. Zusätzlich legte die Klägerin ein Schreiben vor, dass das Subunternehmen zahlungsunfähig sei. Das Finanzamt und das FG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 17.08.2016, Az. 7 K 7246/14) lehnten den Antrag erneut ab.

In seinem Urteil vom 22.08.2019 (Az. V R 50/16) über die von der Klägerin eingelegte Revision stellt der BFH nochmals klar, dass der Rechnungsaussteller die in der Rechnung als steuerpflichtig abgerechnete Leistung auch erbracht haben muss. Zusätzlich darf die ausgewiesene Steuer für die Leistung mangels Steuerbarkeit oder aufgrund einer Steuerfreiheit oder Steuersatzermäßigung nicht gesetzlich entstanden sein. Der bloße Steuerausweis in einer Rechnung genügt für die Entstehung des Direktanspruchs nicht. Im Streitfall wurde die abgerechnete Leistung nicht erbracht, sondern nur eine Rechnung ausgestellt. Es ist unbeachtlich, aus welchem Grunde die Leistung fehlt oder ob ein kollusives Verhalten vorliegt.

Hinweis:

Grundsätzlich kann der Leistungsempfänger eine aufgrund einer Rechnung gezahlte, aber nicht gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer vom Rechnungsaussteller zurückfordern.
Nur wenn diese Erstattung unmöglich oder übermäßig erschwert ist, besteht grundsätzlich ein Anspruch gegen den Fiskus. In allen anderen Fällen müssen Rechnungsempfänger versuchen, die gezahlte Umsatzsteuer auf dem zivilrechtlichen Weg vom Rechnungsaussteller zurückzuerhalten.