Anspruch aus § 64 GmbHG ist im Rahmen einer D&O-Versicherung zu ersetzen

Gem. § 64 Satz 1 GmbHG sind die Geschäftsführer der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden. Offen war bislang, ob diese Schadenersatzpflicht von einer D&O-Versicherung abgedeckt ist. Dies hat der BGH mit Urteil vom 18.11.2020 (IV ZR 217/19) nun bestätigt.

Eine GmbH hatte im Jahr 2008 eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für ihren Geschäftsführer abgeschlossen, bei der die Versicherungssumme auf EUR 1,5 Mio. für alle Versicherungsfälle eines Versicherungsjahres begrenzt war. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die GmbH im August 2013 nahm der Insolvenzverwalter im Dezember 2015 den Geschäftsführer der GmbH auf Ersatz von Zahlungen nach Insolvenzreife in Anspruch. Er machte geltend, die Schuldnerin sei spätestens seit September 2011 zahlungsunfähig gewesen, dennoch habe der Geschäftsführer in den Versicherungsjahren 2011/2012 und 2012/2013 Zahlungen i.H.v. jeweils mindestens EUR 1,5 Mio. vorgenommen. Nachdem der Geschäftsführer im November 2016 seine Deckungsansprüche aus dem Versicherungsvertrag an den Insolvenzverwalter abgetreten hatte, verlangte jener von der Versicherung Schadenersatz für die vom Geschäftsführer ausgeführten, aber nach § 64 Abs. 1 GmbHG unzulässigen Zahlungen. Hiergegen wandte sich die Versicherung unter Berufung auf ihre Allgemeinen Versicherungsbedingungen, wonach Ansprüche aus § 64 GmbHG nicht vom Versicherungsschutz erfasst wären; jedenfalls lägen aber wissentliche Pflichtverletzungen des Geschäftsführers vor. Dies beurteilte der BGH unter anderer Auslegung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Versicherung anders und erteilte damit auch der bisherigen OLG-Rechtsprechung eine Absage.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. In erster Linie ist dabei vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind. Auch von einem geschäftserfahrenen und mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen vertrauten, dennoch nicht juristisch oder versicherungsrechtlich vorgebildeten Versicherungsnehmer/Versicherten einer D&O-Versicherung kann weder eine komplexe rechtsdogmatische Einordnung des Anspruchs aus § 64 GmbHG noch ein darauf gestütztes Verständnis des in den allgemeinen Versicherungsbedingungen formulierten Leistungsversprechens erwartet werden.

Der BGH bestätigt dann seine bisherige Auffassung, dass der in § 64 GmbHG geregelte Anspruch eine von den Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Gewährung von Versicherungsschutz vorausgesetzte gesetzliche Haftpflichtregelung darstellt. Darunter fallen solche Bestimmungen, die unabhängig vom Willen der beteiligten Parteien an die Verwirklichung eines festgelegten Ereignisses bestimmte Rechtsfolgen knüpfen. Das trifft auf den Anspruch aus § 64 GmbHG zu. Denn die Vorschrift knüpft an nach Insolvenzreife geleistete, zur Masseschmälerung führende Zahlungen unabhängig vom Willen der beteiligten Parteien betreffend die rechtliche Verpflichtung des Geschäftsführers, diese Zahlungen der Gesellschaft zu ersetzen.

Des Weiteren wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer/Versicherte ausgehend vom Wortlaut der Klausel und dem für ihn erkennbaren Zweck der D&O-Versicherung den Anspruch aus § 64 GmbHG als Schadenersatzanspruch i.S.d. Versicherungsbedingungen ansehen. Die Einbeziehung dieses Anspruchs in den Versicherungsschutz entspricht auch dem für den Versicherungsnehmer/Versicherten erkennbaren Zweck des Versicherungsvertrages.

Der durchschnittliche Versicherungsnehmer/Versicherte kann und muss zudem keine rechtsdogmatischen Überlegungen zum Verständnis der Versicherungsbedingungen anstellen. Dies gilt auch für die von der Versicherung in der mündlichen Verhandlung angesprochene Erwägung, eine bedingungsgemäße Ausübung der organschaftlichen Tätigkeit liege nicht vor, weil den Versicherten die verletzte Pflicht „qua Stellung“ treffe.

 

Hinweis:

Die vorliegende Entscheidung ist von herausragender Bedeutung für die Organe von Gesellschaften in der Krise und beseitigt eine Unsicherheit, die durch obergerichtliche Rechtsprechung entstanden ist. Besondere Relevanz hat dies vor dem Hintergrund der Folgen der COVID-19 Pandemie und den mit dem StaRUG (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz) einhergehenden Änderungen im System der Organhaftung