Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten bei eigenbetrieblichem Interesse
Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten haben eine große Bedeutung bei der Erstellung des Jahresabschlusses und für die steuerliche Gewinnermittlung. Sie stellen daher einen Schwerpunkt bei steuerlichen Außenprüfungen dar und sind regelmäßig streitanfällig. Die Bildung einer steuerlichen Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten setzt eine Schuld gegenüber einem Dritten (Außenverpflichtung) voraus; die Bildung von Aufwandsrückstellungen, also für Eigenverpflichtungen, ist steuerlich ausgeschlossen.
In dem nunmehr vom BFH mit Urteil vom 22.01.2020 (Az. XI R 2/19) entschiedenen Verfahren hatte ein im Spezialgerüstbau tätiges Unternehmen die Kosten für die Räumung einer Baustelle als eine Außenverpflichtung angesehen und hierfür eine Rückstellung gebildet. Das Finanzamt und das FG Münster in seiner erstinstanzlichen Entscheidung vom 05.12.2018 (Az. 13 K 2688/15 K) sahen unter Würdigung der Gesamtumstände jedoch ein die Außenverpflichtung vollständig überlagerndes eigenbetriebliches Interesse und versagten die Bildung der Steuerrückstellung. Dies bestätigte der BFH.
Einerseits war das Unternehmen aufgrund vertraglicher Vereinbarungen verpflichtet, die Baustelle nach Auslaufen der jeweiligen Rahmenverträge zu räumen und den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Damit wurde, auch nach Auffassung des BFH, durchaus eine Außenverpflichtung begründet.
Andererseits bestand auch ein eigenbetriebliches Interesse des Unternehmens an der ordnungsgemäßen und zügigen Räumung einer Baustelle. Denn das Zusammenstellen, Sichten, Verpacken und Verladen sowie der Transport und das Abladen des Gerüstmaterials im Zentrallager diente dazu, das Gerüstmaterial abschließend möglichst zeitnah wiederzuverwenden. Vor diesem Hintergrund waren nach Auffassung des BFH die eigentlichen Räumungskosten nicht sachgerecht von den Transportkosten zu trennen, sodass auch eine teilweise Rückstellung für
die Räumungskosten ausschied.
Es wird sich in der Praxis zeigen, inwieweit das Kriterium des eigenbetrieblichen Interesses zu rechtfertigen ist, weil die Bildung einer Rückstellung ohnehin betrieblich veranlasst sein muss und deshalb auch bei einer Außenverpflichtung immer auch ein eigenbetriebliches Interesse besteht. Allein aus dieser Argumentation heraus wäre beispielsweise auch der mit der Erstellung des Jahresabschlusses verbundene Aufwand nicht rückstellungsfähig und würde regelmäßig zu einer Beanstandung auf steuerbilanzieller Ebene führen. Allerdings besteht für die Erstellung des Jahresabschlusses zudem eine gesetzliche Verpflichtung, die wiederum das eigenbetriebliche Interesse überlagert.
Hinweis:
Die Abwägung, ob die wirtschaftliche Belastung einer Außenverpflichtung durch ein eigenbetriebliches Interesse überlagert wird, bedeutet ein weiteres Abgrenzungskriterium, das bei Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu berücksichtigen ist. Individuell im Einzelfall kann möglicherweise durch entsprechende Vertragsgestaltung ein Erfüllungsrückstand erreicht und eine Rückstellungsbildung eröffnet werden.